Als ich meine letzten Artikel zum Thema nochmal durchgelesen habe, habe ich gedacht, dass es im derzeitigen Zustand der Sportstadt Rom, seiner Fans und seinem entweihten Tempel Olympiastadion schwierig ist, einen Text zu schreiben ohne zwangsläufig immer dieselben Sachen zu wiederholen. Natürlich, in Wahrheit muss man auch sagen repetitia juvant, doppelt hält besser, und die Schande, die sich in der Hauptstadt zuträgt, kann gar nicht oft genug unterstrichen werden und darf nie das Zentrum der Aufmerksamkeit verlassen. Sonst würde die Militarisierung der größten italienischen Stadt mit dem klaren Ziel, langsam auf die ganze Halbinsel ausgedehnt zu werden, irgendwann als normal angesehen werden. Das System bewegt seine Fangarme, injiziert Schlafmittel, damit wir Schritt für Schritt von all dem überhaupt nichts mehr mitbekommen und gewöhnt uns daran, mit dem Gedanken einer allgegenwärtigen sozialen Überwachung zu leben.
Es ist genauso richtig, dass man auch sagen könnte: „Ja OK, toll, kritisieren kannst du ja schon gut, aber die Lösung sieht wie aus?“. Italien, wie jeder weiß, ist der Weltmeister im Meckern. Oft sinnlos und unangebracht. Das Land ist weniger gut aufgestellt, wenn es um die Lösung von Problemen geht und verliert sich dabei meist im altbackenen Geschwätz, das uns als mediterran, großkotzig und ein bisschen kasprig klassifiziert. Der skurrile Terminus sei mir verziehen.
Zu diesem Roma-Milan könnte ich die übliche überkritische Analyse schreiben. Aber vielleicht fände ich nicht einmal die Kraft dafür. So groß ist meine Bedrückung, wenn ich ein Auge auf die Tribünen dieses Stadions werfe, das noch in der jüngeren Vergangenheit diese Partie in ein wirkliches Spitzenspiel verwandelte. Mit Zuschauerrängen, die sich zu einer überkochenden Schüssel formten und zwei Fanlagern, die sich akustisch bekämpften und so einen über die Jahre entwickelten Hass krönten. Es scheint ein Jahrtausend vergangen zu sein, aber so war es noch vor ein paar Spielzeiten. So fällt mir zum Beispiel die Antwort der Inter-Fans ein, die sie einer der Journalistinnen von RAI gaben, die 1991 für den Dokumentarfilm „Alè ohoh: Roma-Inter mit den Ultras“ drehten, eine wahrhaftige Reportage aus dem Inneren der beiden Tifoserien, die es damals erlaubten, das Rückspiel des UEFA-Pokalfinals im Stadio Olimpico mit ihnen gemeinsam zu erleben. Während man über Gewalt, Support und Choreografien spricht, kommt es zu der Frage „Würdet ihr wollen, dass sich der Fußball ändert?“ und die trockene Antwort lautet unisono: „Nein, uns gefällt das so“.
Das kann etwas politisch völlig Unkorrektes sein und also völlig entgegen der Logik unserer Zeiten. Aber nach 25 Jahren zurückblickend kann ich ihnen nicht widersprechen. Und, werdet ihr fragen, welche Lösung kann man denn nun finden? In diesen Monaten hat man sich gefragt, ob es denn etwas bringt, das Stadion komplett zu verlassen. Im Gegensatz zu dem was viele denken – vor allem wenn sie ihren Fuß noch nie ins Olympiastadion gesetzt haben -, darf man abgesehen von den Trennmauern mit Sicherheit keinen öffentlichen Ort besuchen, bei dem man mindestens dreimal abgetastet und wie ein Serienkrimineller behandelt wird. Und wer sich dafür entschieden hat, nicht mehr ins Stadion zu gehen, macht das sicher nicht, um irgendwelche Eigeninteressen zu verfolgen. Welche obskuren Interessen sollte man denn auch damit verbergen, dass man mehr als 400 Euro für die Dauerkarte ausgibt und sich dann keine Minute der Spiele anschaut?
Das Problem ist ein grundlegendes. Die Akzeptanz einer Politik, die in den letzten zwei Jahrzehnten die Fankultur im Fußball vernichtet hat. Von namensgebundenen Tickets über die Drehkreuze am Einlass bis zur Plastikkarte, um Auswärtsspiele besuchen zu können. Man wollte um jeden Preis auf seinem angestammten Platz bleiben, auch als es klar auf der Hand lag, dass es zielführender wäre, aufzustehen und massenhaft fernzubleiben. Italien ist ein Land, das schon seit Urzeiten als soziales Experimentierlabor gilt. Das sage jetzt nicht ich, dafür muss man nur ein beliebiges Geschichtsbuch aufschlagen und sich auf die Zeit ab den 70er Jahren konzentrieren. Wir durften mit Sicherheit nicht glauben, dass eine zahlenmäßig so große und gleichzeitig so limitierte (weil sie sich immer in einem geschlossenen und überwachbaren Bereich wie dem Stadion inszeniert) Massenbewegung unsterblich und von all dem ausgenommen wäre. Es ist völlig klar, dass man den Kopf einsetzen musste, als die Masse der Stadionbesucher noch hinter den Kurven stand. Heute, wo die Bescherung angerichtet ist, sieht das alles viel schwieriger aus – zwischen dergroßen Flucht aus den Stadien und der totalen Anpassung des Durchschnittsitalieners, schon zu betäubt von den fehlerfrei durchgezogenen Kampagnen des Systems.
Es handelt sich um eine kontinuierliche Herabwürdigung all dessen, was wir waren und dessen, was wir in den nächsten Jahren noch werden. Leider ist die eingeschlagene Richtung die der absoluten sozialen Angleichung. Weg mit jeder kulturellen oder folkloristischen Besonderheit oder Abweichung. Das Wichtige ist die Sicherheit, sagen sie. Als wäre Italien der einzige Ort in Europa, der sie nötig hat. Auch hier riskieren wir, immer dasselbe zu erzählen, aber wir alle wissen und zu allererst wissen das die Institutionen, dass wenn wir unseren Fußball verbessern und die Stadien wieder lebendig und spektakulär machen wollen, zuallererst gesunder Menschenverstand gefragt ist. Dann auch Geld, Planung und Organisation. Alles Dinge, die im Moment komplett zu fehlen scheinen. Man legt uns immer das „englische Modell“ in den Mund oder Sheriffs wie Gabrielli erzählen uns sogar von einem Europa des Fußballs, wo im Stadion alle sitzen und es keine Auseinandersetzungen gibt (und bezeugen dadurch, dass sie wirklich auf einem anderen Planeten leben und womöglich glauben, dass die Leute kein Internet zuhause haben, um sich vom Gegenteil zu überzeugen). Im Laufe der Jahre wurden Millionen von Euros für Imagekampagnen verschwendet. Ein bisschen so, als wenn man die Schlaglöcher ausbessert anstatt die Straße neu zu asphaltieren. Im Ergebnis heißt das, dass man andauernd irgendwo wieder flicken muss.
Es tut mir leid, dass ich immer wieder Deutschland als Beispiel aus dem Hut zaubern muss, aber wir könnten auch die skandinavischen Länder als Beispiel heranziehen. Vorbemerkung: Mir gefallen die typisch italienischen Stadien, wie auch die zerfallenen Spielstätten des Balkans mit ihren heißblütigen Fans. Aber weil man sich dafür entschieden hat, sich als „entwickeltes Gemeinwesen“ zu klassifizieren (ich habe immer noch nicht verstanden, auf der Basis von welchen Kriterien genau), muss man aber auch die Fähigkeiten mitbringen, sich auf das Niveau von wirklich fortschrittlichen Ländern zu heben. Und es sollte allen klar sein, dass es nicht einmal in England so sinnlose Verbote und Regularien gibt wie bei uns. Dies, weil man anderswo verstanden hat, dass der Fan nicht grundsätzlich eine Bestie ist und wenn man eine Person nicht wie sozialen Abschaum behandelt, sondern sie ernst nimmt, respektiert und ihr erlaubt, so zu supporten, wie es ihr gefällt, diese Person mit Sicherheit positiv darauf reagiert. Aber für das alles braucht es Kultur und Geduld. Alles Voraussetzungen, die in Italien fehlen.
Und dann wären da noch die Eigeninteressen. Da gibt es Präfekten und Polizeichefs, die ihre Karriere auf der Ausgestaltung der öffentlichen Ordnung aufbauen. Unwichtig, wenn das alles nur provisorisch zusammengespuckt ist. Wichtig ist, dass man etwas vorzeigen kann, nicht dass man konkret und pragmatisch handelt. Ein Hund, der sich in den Schwanz beißt. Ich werfe mal diese Provokation in den Raum: Bringen wir Trommeln, Megaphone, Banner, Rauchbomben und Bengalos, Choreografien, Fahnen und Farben wieder in die Stadien zurück. Die Eintrittskarten sind namensgebunden? Wozu dienen dann Fankarten, Drehkreuze und Blocktrennungen? Hör doch auf. Wir bewegen uns in die genau entgegengesetzte Richtung vom Rest der Welt. Reißen wir die Trennwände nieder. Verkaufen wir Tickets wieder zu nachvollziehbaren Preisen. Wie viel wettet ihr, dass sich die Stadien wieder füllen werden? Und das soll überhaupt nicht heißen, dass es jeden Sonntag zu Straßenkämpfen kommt. Vor allen Dingen wenn du den Leuten die Möglichkeit gibst, ihren Stress im Stadion abzubauen und das optimal in geregelte Bahnen führst, kann die Gesellschaft davon nur profitieren. Die Menschen sind nicht müde vom Fußball, sie haben auch ihre Leidenschaft dafür nicht verloren, sie kotzt einfach nur an, was aus diesem Sport geworden ist.
Im Stehen zu supporten ohne dabei auf den zugewiesenen Platz acht geben zu müssen, hat noch niemanden umgebracht. Wie kann es sein, dass etwas, das gesellschaftlich so anerkannt war und so geliebt wurde wie zum Beispiel die Choreografien, von einem Tag auf den anderen plötzlich illegal wird? Dasselbe bei der Pyrotechnik. Wir sind eines der berühmtesten Länder der Welt für die von unseren Städten und Gemeinden organisierten Feuerwerke. Warum sind sie also an einem Ort des fröhlichen Beisammenseins, wie es Stadien sein sollten verboten? Das ist so, als würdest du einem Italiener verbieten, italienisch zu sprechen, wenn er einen bestimmten Ort betritt. Natürlich, das alles muss geregelt werden. Du schmeißt den Bengalo aufs Spielfeld? Ich bestrafe dich. Du zündest ihn an, um für ein bisschen Farbe zu sorgen? Alles in Ordnung. Ansonsten entfernt bitte auch die Pyroaktionen aus der Werbung für eure Dauerkarten, das ist nämlich die Verharmlosung von Straftaten. Es braucht sachliche Kompromisse und eine Erziehung und Aufklärung, die von oben kommen muss.
Aber diese meine Worte sind pure Utopie, weil man keine wirkliche Lust hat, die Stadien wieder mit Besuchern zu füllen sondern nur, sie in sozial kontrollierbare Theater zu verwandeln. Und wenn dem also so ist, dann lasst sie einfach so, wie sie sind. Alt, baufällig, leise und traurig. Sie sind der perfekte Ausdruck dessen, was ihr in diesen Jahren gesät habt.
Simone Meloni.